Schwäbisch Gmünd, Ostern 1970

Diesmal schon wesentlich weiter als beim letzten Abenteuer! Es ging nämlich ins gut 200 km entfernte 'Ausland', also in einen Bereich, in dem man einen anderen Dialekt benutzte; zwar noch als deutsche Sprache erkennbar, aber doch irgendwie fremd. Andererseits waren wir dort 'Ausländer',  weil wir des Schwäbischen kaum mächtig waren und wir als Mannheimer unsere kurpfälzische Abstammung nicht verhehlen konnten.

Abfahrtsort und Ziel


Fortbewegungsmittel:

Ein Zündapp-Roller mit Handschaltung und rund 45 km/h Höchstgeschwindigkeit, der meinem besten Freund Dieter gehörte (ich hatte noch kein Moped damals, aber immerhin schon einen Helm, weil so etwas bald kommen musste!)

Zeit: Ostern 1970

Unseren 16. Geburtstag hatten wir schon weit über ein halbes Jahr hinter uns,
fühlten uns also reif für die Fremde.

Zu dieser Zeit begann ein Schicksal, das mich in vielen meinen Urlaubsabenteuern verfolgen sollte: Es ging etwas schief!
Und: ich würde fortan so gut wie immer einen (tollen oder zumindest ungewöhnlichen) Schlafplatz finden...


Vorwort

Ich hatte damals zwei Brieffreundinnen: eine in Bologna (namens Bughatti und sogar verwandt mit diesem berühmten Namen), und eine in Schwäbisch Gmünd. Wie ich an diese Brieffreundschaften gekommen war, weiß ich allerdings nicht mehr...

Meinen Freund Dieter (Diddi) konnte ich irgendwann dazu überreden, mit einer Freundin meiner Schwäbisch Gmünder Brieffreundin Kontakt aufzunehmen: Diddi war im Gegensatz zu mir kein Schreiberling und hielt es lieber kurz; ich selbst war schon damals der Schreiberei verfallen: unter sechs Seiten wurde kein Brief abgeschickt; in der Schule langte mir kaum die Zeit bei den Klassenaufsätzen, und Tagebuch führte ich auch - eher unüblich für einen so jungen Mann...

Irgendwann entschlossen wir uns, unsere Brieffreundinnen in Schwäbisch Gmünd zu besuchen!

Ich bin glücklich, dass ich damals einen winzigen Notizblock mitnahm und meine Eindrücke in noch unausgegorener Schrift festhielt!
In sehr kurzen Stichworten zwar, aber immerhin so, dass ich mich sogar heute noch anhand dieser Notizen und der wenigen Fotos gut erinnern kann; nur deswegen kann die folgende Erzählung so genau beschrieben werden - im Jahr 2010, 40 Jahre später!

Hier ein kleiner Eindruck meiner damaligen "Zettelwirtschaft":



Diese Eigenart des Führens eines Reisetagebuchs habe ich bis in mein 'hohes' Alter beibehalten; allerdings schrieb ich nach diesem ersten kleinen Abenteuer etwas genauer und auch viel mehr in meine dann etwas größeren Heftchen.


Ostersonntag, 30.3.1970 - Tag 1

Tolles Frühlingswetter: die Forsytien blühten, die Temperaturen waren recht lau; deswegen befand sich in unserem wenigen Gepäck sogar Sommerfrischler-Ausrüstung; immerhin waren wir optimistische Männlein!

Diddi kam pünktlich um 8 Uhr auf dem Parkplatz vor meinem Wohnblock an; wir schnallten etwas Gepäck auf den dafür vorgesehenen Träger hinten am Roller und hängten außerdem einen großen Proviantbeutel vorne unter den Lenker; hinter die Verkleidung natürlich.

Dann eine riesige Überraschung: meine Freundin Rosi hatte es sich nicht nehmen lassen, mich zu verabschieden! Auf dem Parkplatz drückte sie mir einen Kuss auf, der mich fast aus dem Sattel hinter Dieter warf (wir waren schon so gut wie am Abfahren): nicht nur wegen der Heftigkeit, die die nächsten Tage mit Sicherheit andauern würde, sondern vor allem, weil meine Eltern natürlich oben aus dem Fenster zuschauten - die bis dato noch nichts von Rosi wussten... Na ja, wir gingen ja erst seit zwei Wochen miteinander... Sowas erzählt man doch nicht sofort zu Hause, oder?

Zu allem Überfluss sah ich auch noch einige grinsende Nachbarn hinter ihren Fenstern, so dass ich am liebsten in den Boden versinken wollte. Stattdessen gab ich Diddi die Order: "Hauen wir endlich ab!!"

Noch bevor ich das Klappvisier meines offenen Helms herunter schieben konnte, bekam ich noch einen Schmatzer ab, dessen Aufprall Diddi mit dem anrollenden Roller gerade noch so abfangen konnte. Manno, wie peinlich!
Na ja, etwas stolz war ich natürlich auch... Schließlich war Rosi recht hübsch und sehr ansehnlich gebaut.

Nach etwas über einer Stunde und 30 Kilometer später machten wir unsere erste kurze Zigarettenpause. Weitere 12 Kilometer danach tankten wir vorsichtshalber: ein ganzer Liter ging rein, für 75 Pfennig! (*Einschub: für alle, die sich nicht mehr so richtig an Mark und Pfennig erinnern können: das wären 38 Cent für Zweitaktgemisch; reines Benzin kostete etwa 68 Pfennig, also rund 34 Cent...)


 

 

Nachsatz:

Die Rückfahrt war eisig kalt, wir schlotterten geradezu in unseren unzureichenden Klamotten; die dünnen Handschuhe gefroren sogar stellenweise, und unsere Nasen fühlten sich auch nicht besonders gesund an: dunkles Blau/Rot würden Farbbilder zeigen, wenn wir welche gehabt hätten.

Bis wir wieder die Rheinebene erreichten hassten wir - trotz aller guten Erlebnisse - unseren Ausflug! Dort aber war es wieder Frühling, mit guten 19 Grad, und wir vergaßen schnell die Strapazen.

495 Kilometer später und sieben Tage nach unserer Abfahrt durfte ich meine Freundin wieder in den Arm nehmen, die sich überhaupt keine Sorgen gemacht hatte; wie ich selbstverständlich auch nicht!

Ach ja: auf dem letzten Bild erkennt man knapp ein Halstuch, das um meinen Hals hängt (woch auch sonst?): Diddi trug das gleiche, wir nannten es FT (Freundschaftstuch). Seit etwa drei Jahren trugen wir es bei jeder gemeinsamen Unternehmung, auch wenn es nur ein Spaziergang war, und wir sollten es noch viele weitere Jahre tragen! Meins habe ich heute noch (inzwischen 2018): ausgebleicht, an den Rändern zerfastert, Löcher drinne; aber es ist ein unersetzliches Erinnerungsstück! Getragen wird es aber nicht mehr; aus Angst, es könnte sich auflösen.